
(c) F. Kührer-Wielach
Die Pylonen, die man von der Schwedenbrücke Richtung Taborstraße kommend durchschreitet, erinnern ein wenig an die Stadteinfahrt von Chișinău, halt mit Glas statt Glasnost.
Die Relativhochhäuser scheinen miteinander zu flüstern, freundschaftlich, einander zugeneigt. Danach öffnet sich uns die Taborstraße, eine der Hauptschlagadern der Leopoldstadt.
Gleich neben dem Odeon, dessen Räumlichkeiten früher eine der ältesten Wertpapierbörsen der Welt beherbergt hatten, steht das Hotel Stephanie. Ich erinnere mich an ein schöne Hochzeitsfeier in diesen Räumlichkeiten. „Ältestes Hotel von Wien“ steht auf einem Schild. Die Präposition ist der Tod vom Genitiv, denke ich mir.
GERECHTE UNTER DEN VÖLKERN
Am Lancplatz halten wir kurz inne. Er ist nach dem Ehepaar Maria und Arthur Lanc benannt. Arthur ist hier im 2. Bezirk aufgewachsen. Als er in Gmünd als Arzt gewirkt hat, haben die beiden drei ungarische Juden vor dem KZ gerettet. 1986 wurden sie als „Gerechte unter den Völkern“ in Yad Vashem geehrt.
Heute leben wieder viele Juden in der Taborstraße. Es sind größtenteils Hergezogene. An den altösterreichischen Teil der jüdischen Leopoldstadt erinnern viel zu viele Stolpersteine. Vielleicht sollte man sie in Augenhöhe anbringen.

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EXTRA LÄSSIG
Unser Ziel ist aber zugegebenermaßen nicht ganz koscher: der relativ neue, liebevoll renovierte und kulinarisch runderneuerte Würstelstand „Extra Würstel“ an der Kreuzung zur Blumauergasse bzw. Obere Augartenstraße.
Kunsthistoriker oder Marketingprofis verweisen darauf, dass das Standl von einem Schüler Adolf Loos‘ (hier täten wir uns dann doch mit der Präposition „von“ leichter als mit dem apostrophalen Genitiv, gell?) entworfen worden sein soll. Oder vom Papagei seiner Schwiegermutter.* Aber ist ja wurscht. So oder so: eine lässige Hütte, muss man sagen.
H.u.H. POMMES
Hier gibt es das volle Programm, von den klassischen Würsteln (eh alles Bio, logisch) über das fancy Zeug wie den Extra Dog – Frankfurter Cole, wo dem Frankfurter (Bio!logisch!) Coleslaw und Korean Ketchup (Gochujang Sauce) beigegeben werden bis hin zu den Veggie*Vegan-Wurstvarianten. Sehr zu empfehlen die vegane Pfefferoni!
Frittiert werden nicht nur die (handgeschnittenen und hausgemachten) h.u.h. Pommes, sondern auch Corn Ribs oder Karfiol. Und es gibt natürlich auch ein paar schöne Saucen im Angebot.
Irgendwo habe ich etwas von einer frittierten Wurst gelesen, leider gibt es die nicht mehr. Ich entscheide mich für den Kimchi Bosna. Oder heißt es das Bosna? Die?
Jedenfalls kommen da zwei kleine, feine Bratwürstel rein. Wenn man abbeißt, sieht das aus, als würden einen zwei treuherzige Fettaugen aus Biowurstbrät entgegenblinzeln.

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KOREA IM WECKERL
Meinem Appetit tut das kaum Abbruch, nicht zuletzt wegen der schönen, fancyen Beilagen im Weckerl: neben Senf, Koriander, Curry und Co. eben auch den fermentierten Kohl aus Korea, der es meiner Meinung nach auch über den Korea-Hype hinweg in unseren Breitengraden Fuß zu fassen verdient hat.
Die doppelt frittierten, also quasi doppelgeadelten Pommes nehme ich in scharf, da das Koreakraut eh eher mild ist. Dazu eine hausgemacht Limetten-Sourcream, fein.
Als weitere vegetarische Beilage gibt es einen Obertrumer Radler mit Zitronenverbene. Sorry: BIO-Radler natürlich. Zitronenverbene als Saftkomponente ist schon ziemlich überdrüber, aber ehrlich: ich finde das genau richtig, nicht zu süß, aber auch noch kein saurer Radler, den ich nicht so brauche. Denn manch Freund wirft mir vielleicht zurecht vor, dass man in Bier kein Zuckerwasser schüttet. Aber bitte: Bier zu wassern ist noch viel schlimmer!
BENOTUNG:
Geschmack: 4,5 von 5 Seitan-Burenhaxn
Atmosphäre: 4,5 von 5 Retrodesignfliesen
Kulinarische Kakanizität: 3 für die Wurstkultur und 1,5 für die Loos-Geschichte
Soziokult: jeder für sich eine EPU, zusätzlich koschere Abteilung empfohlen!
Toilette: waren im Augarten
DIE PARTEI IM TÜRMCHEN

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Ich lese, die Ecke hier heißt Humbert-Spitzer-Platz. Der Herr Spitzer, so meine ich, ist nicht nur wegen seines Engagements für Taubstumme zu verehren, sondern auch für seinen Vornamen. Was für ein Glück hat die Mitesserin, dass sie schon einen Namen hat. Humberta, geh‘ her! über den Spielplatz zu rufen, das wäre was.
Im dem Grätzl ist echt was los, wie wir beobachten, während wir da so sitzen. Die Kreuzung können wir aber nicht direkt einsehen, denn der Extrawürtelstand wird von einem Denkmal abgeschirmt: ein niedriger, runder Turm von geringem Durchmesser. Darauf ein Schild: Hier fand 1892 die Gründung der SPÖ Leopoldstadt statt. Viele Gründer können das nicht gewesen sein, da drin in dem Türmerl, denk ich mir.
ANTI-AMPEL-KOALITION
Wir rollen weiter stadtauswärts, wo der Bezirk sich weniger jüdisch, aber durchaus nahöstlich präsentiert. An der Ampel beginnt eine Frau zu schimpfen und gegen einen unsichtbaren Feind zu treten. Was stört sie so? Ihr Gemurmel verrät mir, dass es die Ampel selbst sein dürfte, die sie so provoziert. Die aus ihrer Sicht nicht rechtzeitig auf Grün zu schalten geruht. Daun geh i hoid wida ham, meint sie, dreht um und verlässt die Szene. Spricht sie uns nicht ein wenig aus dem Herzen?

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NEPOMUK, SAINT OF TRANSITION
Wir kommen Am Tabor an. Man merkt, dass hier einst eine Art von Übergang war, denn hier drückt sich seit 1698 das einstige Amtsgebäude der k.k. Tabormaut in den Graben des Volkertviertels. Es bewachte einst die Brücke über das Fahnenstangenwasser, einem Seitenarm der Donau.
Als das Zollhaus abbrannte (sicher nicht wegen der Steuer), hat man es 1730 mit einer Hauskapelle wiederaufgebaut und die dem Hl. Nepomuk geweiht. Die Statue des Brückenheiligen findet sich heute gleich vis-a-vis in einer neueren Kapelle, die wie ein Alien zwischen den Hochhäusern herumsteht.
Sie ist eine für Wien so typische Linienkapelle, und das Mauthaus ein „k.k. Verzehrungssteuer-Linienamt“. Seit 1829 ging an der „Linie“ das Türl nur dann auf, wenn man Geld ablieferte, als indirekte Steuer auf erworbene und verzehrte Lebensmittel.
Uns ist das aber wurscht. Wir gehen Am Tabor weiter, unter der Unterführung durch, und biegen in die Lembergstraße ein.
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* Es ist zwar höchstwahrscheinlich kein Papagei, der den Wurstpalast entworfen hat, aber die Gerüchteküche verdichtet sich dank des Hinweises der Betreiber von Extra Würstel, dass es wohl ein Schüler von Friedensreich Hundertwasser war. Wir müssen uns also vom ursprünglichen Entstehungsgedanken löösen, den ich unbesehen aus dem Netz plagiiert habe. Zu hundertwasser Prozent kann man es aber nach wie vor nicht sagen – aber die Formen deuten tatsächlich auf Hundertwasser hin. Von einer Titeländerung in HUNDERTWASSER LASSEN sehe ich vorläufig ab.
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