the Vienna Königsberger project #1 – ein Beitrag zum Kant-Jubiläum 1724-2024

Kein Name ist so sehr mit Königsberg verbunden wie jener des großen Aufklärers Immanuel Kant. Und kein Gericht erinnert so sehr daran, dass es dieses Königsberg nicht mehr gibt, wie es die Königsberger Klopse tun.
Den südlich des Weißwurstäquators und im von Alpen, Sudeten und Karpaten geprägten mitteleuropäischen Knödelkessel lebenden Menschen klingt das Wort Klops gewiss eher exotisch in den Ohren. Der seit dem 18. Jahrhundert in Ostpreußen nachgewiesene Begriff scheint ein dem fernen Norden vorbehaltener Regionalismus zu sein.
KANT ONISTEN?
Aus dieser Sicht wäre aber auch der Weltendenker Immanuel Kant ein Regionalist. Er hat sich bekanntlich derartig wohl gefühlt in seinem Königsberg, dass er es de facto nie verlassen hat. Kant, der aufgeklärte Somewhere, der fidele Königsberger.
Ganz ähnlich dem im Aussterben begriffenen Erzwiener mitsamt seiner Erzwienerin, die sich ihre Erholung von den Bürden der Wirtschaftswunderzeit die längste Zeit im Schatten einer Kabane im Gänsehäufel oder auf ihren paar Quadratmetern mit der Nagelschere gestutzten Rasens in der Kleingartensiedlung gesucht haben.
POPKULTUR AUS DER KONSERVE
Der Königsberger Klops, diese durch die sarmatischen Landschaften rollende Frucht des Nordostens, hat es letztlich zum bekanntesten Regionalgericht Deutschlands gebracht. Auch wenn Königsberg heute Kaliningrad heißt und schon sehr lange nicht mehr zu Deutschland gehört.
Die Popularität verdankt er wohl seiner Einfachheit im Zusammenspiel mit dem nostalgisch-sentimentalen Beigeschmack, den ein Gericht zwangsläufig hat, wenn es den Namen Königsbergs trägt. Omagericht sagen also die einen. Zum Dosengericht degradiert haben es andere. Passt die ganze Heimat in eine einzige Konserve?
WELTSCHNITZEL
Das Schnitzel hingegen ist ein Einwanderer. Man hält Mailand für den wahrscheinlichsten Entstehungsort eines dem Wiener Schnitzel sehr ähnlichen Gerichts. Heute ist das Schnitzel freilich ein Anywhere. Es existiert in vielen Varianten, auch wenn das Kalbswiener immer das Original bleiben wird. Eine Popularisierung als Konservenschicksal ist dem Schnitzel aufgrund seiner Beschaffenheit erspart geblieben. Und trotzdem ist es, eine transalpine Frucht des mittleren Südens, zum Weltgericht geworden.
KULINARISCHE IMPERATIVE
Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Ankunft weisen Königsberger Klops und Wiener Schnitzel einige nicht unwesentliche Gemeinsamkeiten auf: Beide sind sie Teil des Kulinarischen Imperativs einer mitteleuropäischen Küche, beide werden heute (zu recht, wenn auch billig) zum Soulfood gestempelt. Beide sind in vegetarischen Mutationen kaum brauchbar. Sie werden mit verschiedenen Fleischsorten zubereitet, gar mit Fisch. Und doch bleibt das höchste der Gefühle stets die Kalbfleischvariante.
Sie sind beide, wie es Speisen immer tun, Kinder der Migration, denn weder kommt der Klops aus Königsberg noch das Schnitzel aus Wien. Und irgendwie am Ende doch. Denn sie sind heute engstens verbunden mit den Orten, die sie auszeichnen – auch wenn das Wiener Schnitzel in Wien lange Zeit ohne das Attribut „Wiener“ ausgekommen ist und der Klopsgericht in Königsberg gerne auf das „Königsberger“ verzichtet hat.
PHANTOME
Nur überall anders wurden sie offenbar mit einer Herkunftsbezeichnung ausgestattet, was wiederum für Wien und Königsberg spricht. Zentren von Entitäten, Städte, die so nicht mehr existieren. Aus der einen wurde ein Wasserkopf, aus der anderen Geschichte. Phantommetropolen.
Gemeinsam auch die speziellen Zutaten: die Sardelle, die Kaper und die Zitrone haben nicht nur geschmackliche Funktionen in den Gerichten. Sie werden, aus dem fernen Süden kommend, mitunter zu exotischen Insignien essbaren Wohlstands. Die Levantine lässt grüßen, oder zumindest ihre Renaissance.

(c) F. Kührer-Wielach
TRENNENDES
Auch Trennendes wird sichtbar. Während der Dreiklang aus Zitrone, Kaper und Sardelle unabdingbar ist, um Königsberger Klopse zu erschaffen, werden die Komponenten im Falle des Schnitzels zu Nebendarstellern, um nicht zu sagen zu Knallchargen.
Die Kaper und die Sardelle sind außerdem, als klassische Schnitzelbeigaben, längst aus der Mode gekommen. Man reicht zum Schnitzel Preiselbeermarmelade. Oder, in Wahrheit, Ketchup. Wir sehen also: auch das Schnitzel bezahlt für seine Popularität mit Entwürdigung.
SÜSS-SALZIG-SAUER
Insofern kann eine angemessene, historisch fundierte, geschmacklich ansprechende Würdigung von Klops und Schnitzel bei einer integrierten Variante des Chutney ansetzen: das Salz der Sardelle, die Süße der Preiselbeermarmelade und die Säure der Zitrone ergeben eine Mischung, die zum heimlichen Star der Königsberger Kaiserklopse wird. Nicht zu unterschätzen in dieser Hinsicht auch das Klopswasser: es wird mit Bier und Wein verfeinert. Neben der Säure des Veltliners sorgt die Herbheit des Bieres für einen Rest von Bitterkeit.
NO FIUSCHN
Klops und Schnitzel, Schnitzel und Klops – Wörter, als ob sie aus verschiedenen Quadranten dieses Universums kämen. Und doch gibt es einige gute Gründe für ein Wiener Königsberger-Gericht. Die Vorüberlegungen zeigen, dass ein solches gut durchdacht sein muss, bevor es an die Praxis geht.
Das Ziel kann keine „Fusion“ (sprich: fiuschn) sein, kein Brei, kein Nivellieren. Vielmehr: eine kleine Evolution. Sicher ein Wagnis, aber ein kalkuliertes. Es will dem Kant, dem preußischen Pietisten, und seinen Klopsen, ein wenig die nordöstliche Strenge mildern, ohne etwas zu verwischen. Und gleichzeitig einen Schutzmantel verpassen. Denn es ist jetzt kalt in Kaliningrad. Aber: der genießende Mensch darf nicht nur Mittel einer kulinarischen Botschaft sein, er muss stets Zweck und Ziel jeder Küchenaktivität darstellen.
EIN HEIKLES THEMA: PANIER UND TUNKE
Der heikelste Punkt auf dem Teller ist in dieser Hinsicht gewiss die Schnittfläche von Panier und Sauce. Denn schwer trägt der gemeine Österreicher an der Idee, Sauce, mithin Tunke, über ein sorgfältig paniertes und gebackenes Fleischgut zu ergießen oder es gar darin zu ersäufen.
Warum soll man Herausgebackenes (man beachte die Richtung!) wieder versenken? Keine Tunke an das Wiener Schnitzel! Ein Gedanke, der Wiener und Nichtwiener und alles Dazwischen eint und damit zu einer in der Regel übersehenen Hauptkomponente posthabsburgischer Österreichidentität geworden ist.
EIN AUSGLEICH MUSS HER
Und doch muss hier ein Kompromiss gefunden werden, denn ohne weiße Sauce kommt kein Königsberger Klopsrezept aus. So viel transkulturelles Verständnis muss auf den Teller. Also: der Saucenspiegel wird gesenkt, der gewienerte Klops erst kurz vor dem Servieren eingelegt. So ertränkt die Sauce den gebackenen Klops nicht, weicht die Panier nicht auf. Freilich darf, muss, von der wunderbaren Sauce nachgenommen werden.
SARMATO-ALPINE SYMPATHIEN
Am Anfang stand das gebackene Leberknödel, das jeder kulinarisch versierten Seele die veredelnden Qualitäten der Mehl-Ei-Brösel-Panier noch einmal deutlich vor Auge und über Zunge führt. Die Sympathie zum*r Knödel, zum Klops, zum Kloß, woraus auch immer er geformt ist, wie immer er auch verarbeitet ist, welchen Namen oder Artikel er:sie:es trägt, kann also als Essenz des Gemeinsamen gelten.
Über die Beilagen hingegen lässt sich trefflich disputieren. Für den Königsberger Kaiserklops bietet sich ein ordentlicher Erdapfel*Kartoffelsalat an. Und Reis, wie man ihn (nur) in Wien aus vielen Nichtwienern unverständlichen Gründen zum Schnitzel reicht. Allein: die Königsberger Sauce gibt dem Reis nun seinen saftigen Sinn. Und Sinn ist bekanntlich der Seele Heimat.
REZEPT für 5 große, 7,5 mittlere oder 10 kleine
WIENER KÖNIGSBERGER
vulgo KÖNIGSBERGER KAISERKLOPSE

(c) F. Kührer-Wielach
KLOPSE I
750 g Kalbsfaschiertes (Kalbshack)
150 g Selchspeck, feinst gewürfelt, eventuell aus Ungarn (Schwarte zur Seite legen)
5 Sardellenfilets, feinst gehackt
2 Eier
100 g Tramezzinibrot
50 ml Milch
1 große oder 2 kleine, kleingehackte Zwiebel oder Schalotten vom Stekovics
Salz
Pfeffer
Muskat
Majoran
½ Bund Petersilie, feinst gehackt
Zitronenzeste von einer halben Biozitrone
ein EL scharfer Bautz’ner Senf
5 EL Semmelbrösel
Zwiebel fein hacken und glasig anschwitzen. Tramezzinibrot kleinwürfelig schneiden und für ca. 10 Minuten in die Milch einweichen. Sanft ausdrücken.
Kalbsfaschiertes, Selchspeck, Sardellenfilets, Eier, Tramezzinibrotwürfel, Zwiebel vermengen. Mit Salz, Pfeffer, ein wenig Muskat und ordentlich Majoran, Petersilie, Zitronenzeste, Senf abschmecken. Alles ordentlich durcharbeiten, sodass eine homogene Masse entsteht. Semmelbröseln beifügen, um die Masse besser zu binden. Ca. 30 Minuten kaltstellen.



KLOPSBRÜHE
1 Liter Suppe (im Idealfall Kalbsfonds)
1 Seidl Bier, Sorte nach Geschmack, im Idealfall ein Schremser Vienna I.P.
1 Viertel reschen Weißweins, Sorte nach Geschmack, im Idealfall Grüner Veltliner aus dem westlichen Weinviertel
2 Lorbeerblätter
Halbe Zwiebel
10 Gewürznelken
1 Sternanis
ca. 15 Pfefferkörner
ca. 5 Pimentkörner
Wacholder
1 Prise Salz
die Schwarte vom Selchspeck
Die halbe Zwiebel mit den Gewürznelken spicken. Suppe, Bier und Wein aufkochen und auf kleine Flamme reduzieren.
Schwarte, Gewürze und Nelkenzwiebel hinzufügen, 10 Minuten simmern lassen.
PREISELBEER-KAPERN-ZITRONEN-CHUTNEY
100 g Preiselbeermarmelade
20 g Kapern, grob gehackt
Zitronenzeste einer halben Biozitrone
1 Prise Salz
Zutaten vermischen und kaltstellen.
Wer Salzzitronen zur Verfügung hat, kann davon einige kleingeschnittene Stücke sowie einen Löffel Zitronen-Salz-Lake beifügen.
Dabei nicht übertreiben.
KLOPSE II
Aus der Klopsmasse nach Belieben auf der Handfläche kleinere, mittelgroße oder große flache Laibchen formen, in der Mitte eindrücken und in die Mulde einen Klecks vom Chutney geben. Anschließend Masse mit leicht angefeuchteten Händen zu gleichmäßigen Klopsen drehen. Wichtig ist, dass die Masse rundherum geschlossen ist und keine Sollbruchstellen aufweist, die beim Garziehen aufgehen könnten.
Die Klopse in die leicht simmernde Klopsbrühe einlegen und – je nach Größe – zwischen 10 und 20 Minuten garziehen lassen.
Anschließend Klopse entnehmen und auskühlen lassen.


SAUCE
5 EL Mehl
5 EL Butter
0,5 l Klopsbrühe
0,25 l Schlagobers (Sahne)
Kapern nach Belieben (aber nicht zu wenig)
Salz
Pfeffer
Zitrone
Muskat
½ TL Zucker
Aus Mehl und Butter eine Mehlschwitze herstellen, nach und nach mit der vorher abgeseihten Klopsbrühe aufgießen. Schlagobers hinzufügen. Nun nicht mehr aufkochen, jedoch für einige Minuten langsam köcheln lassen, bis sich eine sämige Sauce ergibt. Kapern hinzufügen. Mit Kapernwasser, Salz, Pfeffer, Zitronensaft, Muskat und Zucker abschmecken.
KLOPSE III
Paniermehl
4 Eier
Semmelbrösel
1 Liter neutrales Öl zum Backen
0,5 kg Butterschmalz
Mehl, mit Gefühl verschlagene (nicht brutal verquirlte!) Eier und Semmelbrösel in drei getrennte Gefäße geben. Es empfehlen sich runde, eher hohe Schüsseln, in denen man die Klopse leicht rotieren lässt. Nun die ausgekühlten Klopse der Reihe nach mit Mehl, Ei und Brösel umhüllen. Wichtig ist, dass weder Mehl noch Ei oder Brösel zu stark angedrückt werden. Die Panier muss sich letztlich freiwillig für den Klops entscheiden.



Anschließend die panierten Klopse im heißen Öl-Butterschmalz-Gemisch herausbacken, jedoch nicht zu viele gleichzeitig, damit das Fett die Temperatur halten kann. Auf einem Gitter kurz abtropfen lassen. Wenn das Fett heiß genug ist, wird die Panier aber ohnehin nur so viel Fett aufnehmen wie geboten. (Und nicht mehr hergeben.)
Die frisch herausgebackenen Klopse – in ihrem veredelten Zustand sind sie nun Königsberger Kaiserklopse – in genügend Sauce setzen. Mit einem Klecks Preiselbeermarmeladen-Kapern-Zitronen-Chutney krönen, nach Belieben mit Schnittlauch garnieren. Zitronenscheibe beigeben.
Dazu Erdapfelsalat und körnigen Reis reichen.
Text, Rezeptentwicklung und Fotos: Florian Kührer-Wielach

(c) F. Kührer-Wielach

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