DIE MITTE


seiten von florian kührer-wielach

Ode an die Schinkenrolle // StrollingKin #7 – holiday special²

Man könnte meinen, über Bad Ischl sei alles gesagt. Aber dies scheint sich im Moment wieder zu ändern, im Jahr 2024, in dem Bad Ischl Hauptstadt der Kulturhauptstadt Salzkammergut ist. Europäisches Kulturhauptland, quasi.

Und nein, wer jetzt erwartet, dass ich mich zu dem Ansatz äußere, in weiten Teilen auf in der Region verankerte Kulturschaffende zu verzichten, wird enttäuscht.

JEDEMMENSCH SEINE GEDENKTAFEL

Selbst das Herumstreuen hier scheint umsonst, was soll man Neues erzählen? Kennt doch halb Europa Bad Ischl wie die eigene Westentasche. Jedermann war schon einmal hier, und ein Blick auf die Hausfassaden bestärkt mich in der Vermutung, dass hier wirklich jeder, der einmal hier abgestiegen ist, eine Gedenktafel bekommt.

Es gibt ja tatsächlich viele Gründe, immer wieder hierher zurückzukehren: Wer einmal auf der Katrin war, möchte es wieder tun. Nämlich mit der Seilbahn auf ebendiese Katrin fahren, den Hausberg der Ischler. Oder des Kaisers Geburtstag feiern am 18. August.

Das ist nicht die Katrin.
(c) F. Kührer-Wielach

ZUM ZAUNER

Am liebsten aber: zum Zauner gehen, so wie ich. Freilich nicht zum „Proletenzauner“, wie ein Freund die Filiale auf der Esplanade bezeichnet. (Ich mache mir den Ausdruck selbstverständlich nicht zu eigen, ich gebe ihn hier nur zu Informationszwecken wieder.)

Es geht ins Stammhaus in der Pfarrgasse, das seit ein paar Jahren aussieht, als hätte man den Westwing-Katalog mit Sissis Filzpatscherl gekreuzt. An den Wänden blühende Landschaften in gedeckten Farben, durch die feiste Landfrauen wandeln, die Gretelpanier in Altrosa. Sie wollen mich mit einem Kipferl oder ihren Guglhupfen verführen.

Im Zaunerstollen. Rechts vorne der Babythron.
(c) F. Kührer-Wielach

LIEBLINGSORT AN DER VITRINE

Ich mag’s. Nur zu den Süßlichkeiten lass ich mich, Zaunerstollen hin oder her, nicht drängen. Mich treibt es viel mehr zur Sandwichvitrine. Sie nimmt sich im Vergleich zum süßen Angebot bescheiden aus. Aber für mich ist das der schönste Platz in Ischl.

Es geht um dicke, hausgemachte Weißbrotscheiben mit den schönsten Dingen darauf, die man auf Weißbrot legen kann: Roastbeef, Aufstriche, Salami, Schinkel, Gemüse, Eingelegtes. Die Ziegenkäse-Variante sieht aus wie ein Urzeittier, offenbar ein Salatflosser. Man weiß kaum, wo vorne und hinten ist.

Ich entscheide mich, traditionell, für 1 x Garnele und 1 x Schinkenrolle, lasse mir die entsprechenden Nummern aushändigen und setze mich geduldig zu meiner Gesellschaft. Der schöne Mokka steht schon vor meiner Nase.

IM MEHLSPEISEKAMMERL

Die Kinder kriegen diverse Mehlspeisen. Die Mitesserin hat auf einer Art k. Zaunerkinderthron platzgenommen, dessen weinrote Plüschlehne sie gleich auf ihren Geschmack prüft.

Die Kinder, heute ein paar mehr als sonst, sind lebhaft. Vom Gegenübertisch schaut eine Dame streng herüber. Der Kleinen könnte ich einen Mohnkuchen geben zur Beruhigung. Aber bei den Größeren würde der kaum wirken. Wir überlegen also, die Kinder in die Garderobe zu sperren, was beim Zauner aber ohnehin keine Strafe darstellt. Ich habe schon hässlichere Hotelzimmer bewohnt. Und kleinere.

Zauner, Stammhaus.
(c) F. Kührer-Wielach

HÜMMLISCH GEERDET

Der Chef ist selbst im Haus. Das Personal bestens ausgebildet. Und doch bleibt, wenn das Service den Mund aufmacht, kein Zweifel offen, dass es sich um Menschen aus der Region handelt: Der unverwechselbare Klang in der Sprache, die aus dem I gerne zwei macht und sie zum Ü verbindet: aus Linz wird Lünz, aus dem Himmel ein Hümme. Und wenn sie 30 Jahre im Weltraum lebten. Von hier Weggezogene erkennte man an ihrem sympathisch-erdigen Akzent. Man stelle sich vor, Dr. McCoy von der Enterprise käme von hier. „Er ist tot, Jüm“, würde er sagen, der Dr. McGoi.

SCHINKENROLLENBROTELOGE

Die Garnelen und die Schinkenrolle kommen. Man kann nicht anders als diese kleinen Kunstwerke in den Hümme zu loben: klassisch gefüllt, die Rolle, mit Erbsen, Karotten, Erdäpfel als Brunoise in Mayonnaise, Ei, ein offensives Gurkerl, ein keckes Silberzwieberl, dezent der Paprika. Senf, feinst dosiert. Die Garnelen würdig auf Gemüse gebettet, Ei, grüner Spargel, dünn wie Spargel. Und schwarzer Kaviar. Freilich: Proletenkaviar. Comme il faut.

Und alles mit diesem feinen gallertigen Glanz überzogen. Man stelle sich vor, wie die Brötchen, frei nach Joseph Roth, in der kalten Morgensonne funkeln. Selbst die sonst so kritisch krause Petersilie scheint milde gestimmt, trägt diesen ganz besonderen Glanz in ihren kleinen, kräftigen Zweiglein. Die Mitesserin kombiniert die Garnelen mit Schlagobers. Unorthodox, aber keineswegs abwegig.

CUM GRANO SALIS

Woas eh guad? fragt der nette Kellner. Er weiß, dass hier „eh“ alles passt. Eine innere Logik altösterreichischer Zaunerzauberei. Der Kaiser schaut uns selbst dort, wo er angeblich zu Fuß hingeht (wie sonst?), über die Schulter. Ein bisschen drüber? Eh. So ist das hier. Selbst die Klobürsten beim Zauner setzen Grünspan an. Edelmetall. Nur eines sei allen Innenarchitekten hinter die Ohren geschrieben: Edles Design hin oder her, lasst das mit den schwarzen Bodenfliesen auf den Herrenpissoirs bleiben.

K.u.K.uck
(c) F. Kührer-Wielach

Jetzt ist tatsächlich alles gesagt. Ich warte auf meine Gedenktafel.

(Da Ferien sind, bleiben Notenvergabe wie alternative Leistungsbeurteilung heute aus.)

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