DIE MITTE


seiten von florian kührer-wielach

Der Fall des Kaisers in St. Wolfgang // StrollingKin #6 – holiday special

Ich nähere mich St. Wolfgang von der Schafbergbahnseite. Häuser mit den obligaten dunklen Holzbalkons, so weit das Auge reicht. Ein Ort wie eine Lederhose. Da ist zuerst das Haus mit dem Namen „Platzhirsch“, und mein gelegentlich infantiler Geist malt sich einen explodierenden Hirschen aus, der wie von Zauberhand ohne übertrieben zu kleckern in einem bereits an den Schnittflächen leicht gerösteten Brioche-Weckerl landet.

DAS SCHLOSS

Meine zugegebenermaßen ambivalente Phantasie (Fleisch: böse / Wildfleisch: gut / Tier explodieren lassen: böse / Pulled meat: gut) wird jedoch rasch vom Schatten eines Hotels verdunkelt, das sich zwischen das Wagerl, mich und den Rest der östlichen Welt schiebt. Ein „bewohnbares Erlebnis“ soll der Klotz sein, mit freiem Blick auf den See. Ich kann mir das gut vorstellen, zumal die Bude aussieht, als hätte Graf Dracula in ein kommunistisches Disneyland investieren wollen. Ich denke, der Bau würde auch gut als Fliegerabwehrstellung dienen. Es ist wohl wie mit Menschen, die sich hässlich kleiden: wer drinsteckt, muss sich selbst nicht ansehen. Manchmal ist die Lederhose doch nur vom Diskonter.

Dracula meets kommunistisches Disneyland
(c) F. Kührer-Wielach

KAFFEE UND KIRCHE

Eigentlich bin ich auf der Suche nach der „Kaffeewerkstatt„, die sich hier um einen sehr ordentlichen Kaffee bemüht. („Third wave“-Kaffee würde man in den Wiener Innenbezirken sagen.) Die soll auch geöffnet haben, im Gegensatz zum Rest der Ortschaft, an einem Montag in den Semesterferien. Bis Ostern muss man sich in St. Wolfgang offenbar ausschließlich von Koffein ernähren, so mein Eindruck, als wir durch das Zentrum rollen und ich die Schilder in den Auslagen lese.

Ortschaft bis Ostern geschlossen.
(c) F. Kührer-Wielach

Geistliche Nahrung aber gibt es: Die ehrwürdige Kirche, wenig überraschend dem Heiligen Wolfgang geweiht, ist offen, aber leer. Ich meine das nicht metaphorisch. Die Wintersonne fällt durch die Fenster, erhellt den einen oder anderen dunklen Winkel. Spinnweben werden sichtbar. Für den wunderschönen Flügelaltar reichts aber nicht, da muss ich mit 50 Cent nachhelfen für eine ordentliche Beleuchtung.

St. Wolfgang: Kraftort für alle Altersklassen.
(c) F. Kührer-Wielach

MIAZI MIT DEN DREI NAMEN

Gleich neben der alten Wallfahrtskirche eine Anschlagtafel mit den Verstorbenen. 90 Jahre ist sie geworden, die Miazi, und sie hatte drei Namen: den aus dem Reisepass, den, wie sie von den Leuten geheißen wurde, und den, mit dem sie geboren wurde. Wer ein paar Blicke auf die Häuser wirft, dem wird klar, warum der Geburtsname hier eine besondere Rolle spielt. Die alteingesessenen Familien haben sogar ein Wappen auf der Fassade. Und ein Lederhosengeschäft.

Auch in dieser Ecke: eine Tafel mit den wichtigsten Ereignissen der letzten 1000 Jahre. St. Wolfgang, 976–1976: da kommen Könige vor, und der Heilige Wolfgang, Feuersbrünste und Altäre, Freiheit und Marktrecht, Schiff und Bahn. Und doch scheint alles nur auf ein einziges Datum hinauszulaufen: 1930 OPERETTE IM WEISSEN RÖSSL steht da und seither sollte, der Tafel nach, nichts Weltbewegendes mehr passieren.

1930: Ende der Geschichte als Operette
(c) F. Kührer-Wielach

DAS WEISSE RÖSSL UND SEINE TIERISCHEN FREUNDE

Und da steht es dann auch, im kaiserlichen Purpur, in Nachbarschaft zu Weißen Bären und Schwarzen Hirschen: das Weiße Rössl, der eigentliche Platzhirsch in dieser zoologischen Sammlung. Die wird von einer Katze ergänzt, die aus einer Aussichtsterrassenöffnung springt, unter der „Achtung Badeplatz. Bitte nichts hinunterwerfen“ geschrieben steht. Möglicherweise wurde die Katze ja zurückgeworfen. Sie scheint das nicht zu stören, landet auf ihren Pfoten.

Eine Legende: Das purpurne Rössl am Wolfgangsee
(c) F. Kührer-Wielach

MENSCHEN LEHRE

Menschen habe ich noch immer keine gesehen. Ich nehme an, die Bewohner sind alle beim Ostereierbemalen. Man muss ja vorbereitet sein, wenn ein ganzer Ort wieder aufsperrt. Später sehe ich dann doch ein paar Handwerker, die fleißig an einem Hotel herumbasteln. Auf Basis ihrer Kommunikationssprachen können wir vermuten, dass sie noch keine Familienwappen in St. Wolfgang besitzen.

FROTZEN

Entlang des Sees ist es wunderbar ruhig, selbst an den öffentlichen Badeplätzen fehlen die sonst üblichen Sonnenanbeter. Eisschwimmen ist ja jetzt auch in Mode, kein Mensch weiß warum, aber auch dahingehend nichts zu sehen, vielleicht ist es zu warm. Der Wirt gestern hat uns erzählt, dass sie jetzt Packages anbieten: Yoga und Eisschwimmen. Aber der „Frozen Joghurt“-Stand hat auch zu. Die Frotzen wollen ohnehin lieber das Zeug von Eskimo und nicht das indigene Laktogelati.

Zu warm zum Eisschwimmen oder alle beim Yoga?
(c) F. Kührer-Wielach

KULINARISCHES IMPERIUMERL

Aber halt, da vorne scheint doch etwas los zu sein, da hat sich eine kleine Schlange gebildet. Vor der öffentlichen Toilette, wie ich bald feststelle. Dafür lerne ich jetzt noch einen Platzhirschen kennen. Den, den ich eigentlich suche: Die erste Station des Kaffeewerkstatt-Imperiums ist die „Kaffeewerkstatt Fried Chicken“: „Unser Hendl wird 24 Stunden mariniert, in Panier gepackt und goldgelb herausgebacken.“ Anscheinend wurden alle und alles herausgebacken, denn drin in der Bude ist gerade niemand. Möglicherweise brauchen die aber die Hendl noch für die Ostereier.

Ein paar Schritte weiter sehe ich den Kaffeewerkstatt-Komplex in seiner ganzen Pracht: Ein Foodtruck, genannt: Futter-Kutter-Kaffeewerkstadt (kurz FKK), ein Geschäft („Kolonial- und Gemischtwaren“ – darf man das eh noch so nennen?) und tatsächlich auch ein Kaffeehaus. Dagegen verblasst Cornelia Poletto mit ihrem Fressviertel in Hamburg. (Alfons Schuhbeck hatte ähnliches in München, aber der schnitzt jetzt Gitterpommes für McDonalds, habe ich gehört.)

FRED FEUERSTEIN AUF DEM SCOOTER

Das Kaffeehaus hat mir aber zu viele Stufen, wir (st)rollen diesmal lieber heimwärts. Wird wohl ein langweiliges Mittagessen, denke ich, die gedünsteten Karotten, die wir uns teilen, schon vor Augen. Bei der „Mieze Schindler“ gäbe es immerhin „altösterreichische Spezialitäten“ wie Knusperschnitzelburger. Wieder etwas gelernt, aber nur theoretisch. Denn die Mieze ist auch zu.

Verblüfft schaue ich einem einsamen E-Scooter-Fahrer hinterher, der meiner Einschätzung nach ein eher ungewöhnliches Bild in den Straßen St. Wolfgangs abgibt. Hier fahren die Menschen eigentlich Caddy oder BMW. Letztere, so zumindest meine Stichprobe, sehen dann aus wie der Fred Feuerstein aus „The Big Lebowski“.

DIE RETTUNG!

Wir rollen eigentlich schon wieder dorfauswärts, als der Blick auf den Scooter-Mann meine Mittagsruhe retten wird. Der, also der Blick, nicht der Scooter-Mann, fällt nämlich auf die von mir beim Hinweg übersehene See-Destillerie. Ich bin hin und weg vom spirituellen Angebot, die haben Gin, Whiskey, Rum und Wodka in der Auslage. Die Getränke heißen dann auch so, dass die Touris eine Freude haben: Wolfgangsee-Gin für die Anfänger, Salzkammergut-Gin für die Regionalisten, Fürsterzbischof-Gin für die Wallfahrer, Whisky Caramel Cream für die Geschmacksverwirrten usw.

Lederhosen-Wodka gibt es aber keinen.

Ginomat. Rund um die Uhr.
(c) F. Kührer-Wielach

DER KAISER FÄLLT

Allein, die haben geschlossen, sie destillieren gerade, schreiben sie. Ob die nicht schwindeln? (Stichwort Ostereier.) Aber dann die Entdeckung der Stunde: die haben nicht nur zu, sondern auch einen Ginomat. 0 –24 Uhr, steht da, das geht sich aus. Ich beschließe, dass der Kaiser-Jagd-Gin der richtige für mich ist und drücke mir eine Flasche runter (EUR 37,50). Der Kaiser fällt und er tut es, ohne daran zu zerbrechen.

Im von der Mittagssonne durchfluteten Quartier angekommen (die Draculaburg ist zum Glück weit genug weg) beschließe ich, um hier auch wirklich seriös berichten zu können, ausnahmsweise einen Tropfen davon zu kosten. Immerhin stand 0–24 Uhr dabei. Mittag mit leichtem Swing im Kaiserwalzertakt, oder so.

Gindarassabumm.
(c) F. Kührer-Wielach

DES KAISERS ALTE KLEIDER

Tatsächlich handelt es sich bei diesem Destillat um „Des Kaisers edelsten Tropfen“, so steht es auch auf der Flasche, und wir wollen nicht das Falsche denken. Die 18 Botanicals fügen sich tatsächlich zu einer runden Geschichte mit sehr wacholdriger Note. Passt sicher gut zu Hirsch. Der Kaiser scheint das zu bestätigen, immerhin trägt er auf dem Etikett seine notorische Tracht: Jopperl, wuchtig wuchernder Backenbart, auf dem Hut trotzdem den obligaten Rasierpinsel.

Ob er eine Lederhose trägt, verschweigt die Etikette aber.

Mittagspause mit Schuss.
(c) F. Kührer-Wielach

(Da Ferien sind, bleiben Notenvergabe wie alternative Leistungsbeurteilung heute aus.)

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#stwolfgang
#salzkammergut
#gingiskan

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