DIE MITTE


seiten von florian kührer-wielach

Der Tafelspitzbub mit dem Bunsenbrenner // StrollingKin #4

Neujahrsvorsätze! Mehr Bewegung, Dry January, weniger Fleisch und Salz. Darum beschließe ich, mich beim Stroll mit Kin(d) auf die Suche nach Streetfood zu machen.

Ich stelle mir das so vor: im Ohr einen Podcast über nachhaltige Ernährung, mit der einen Hand lenke ich den Kinderwagen, in der anderen halte ich den superhippen Veggie-Wrap aus dem Foodtruck.

Außerdem scheint die Sonne. Ich verwerfe also meine Pläne für den Wirten mit Kaiserknödelsuppe und Weißen Kutteln. Nein: ich verschiebe sie, wie man das auch mit ordentlichen Neujahrsvorsätzen macht.

DER INNENSTADT-MAGNET

Einfach drauflos(st)rollen, irgendwohin, und es zieht mich wie so oft gleichsam magnetisch in die Mitte, Richtung „Stadt“, wie man zum Ersten Bezirk sagt, wenn man länger als drei Monate in Wien lebt.

Die Stadt begegnet mir in diesem kalten, staubigen Licht, das nicht nur die Fassaden der Häuser wie ein guter Handyfotofilter verbessert. Sondern auch die Menschen schöner erscheinen lässt, von Weitem. Im Zwielicht ist Wien am authentischsten. Nice.

KENN I DEN?

Am Dom vorbei Richtung Rotenturmstraße. Ich entdecke eine Gedenktafel für John F. Kennedy, niemand erklärte mir, warum die da ist, auch nicht die Tafel selbst. Vielleicht so: „Auch hier hätte JFK ermordet werden können“?

Es bleibt ein Rätsel, das mich aber nicht so umtreibt wie die Frage, was Kaiserknödel von normalen Semmelknödeln unterscheidet. Auch ChatGPT kann da nicht helfen, nicht einmal in der Bezahlversion.

Kennedy und Kunstpelz
(c) F. Kührer-Wielach

FINALLY: BRIOCHE & BRÖSEL

Vor mir bleibt eine ältere Frau abrupt stehen, um sich über eine junge Frau aufzuregen, die abrupt vor ihr stehengeblieben ist. Dank des jähen Halts erkenne ich mein Ziel: Brioche & Brösel.

Das ist die neue Edelimbissbude des Schnitzelimperators Figlmüller, der von irgendwem irgendwo zum legendärsten Restaurant der Welt gekürt wurde. (Ich erinnere mich lediglich an einen legendären Polterabend, der hier, lang bevor an dem Stand irgendetwas edel war, ein paar Promille lang Station machte.)

Die figlmüllergrüne Bude weist außen ein freundliches Erscheinungsbild auf. Und auch innen steht ein gut gelaunter junger Herr mit kakanischem Akzent, der sich äußerst zugänglich gibt, und das schon, bevor ich Trinkgeld gebe. Es muss ein Zugereister sein.

Brioche und Brösel, das Straßenkind des Schnitzelimperators
(c) F. Kührer-Wielach

BURGER A LA FIGLMÜLLER

Es gibt nicht viel zur Auswahl, das ist dafür aber teuer (oder wäre es zumindest außerhalb der „Stadt“): Tafelspitz-Burger (9,80), Schnitzel-Burger (9,80), Trüffelchips (4,80), einen Bratapfelburger als Special und Manner-Schnitten (2,90) für die Veganer.

Ich entscheide mich, meinem Neujahrsvorsatz entsprechend, für den Tafelspitzburger. Denn nach Hendl und Pute ist Rindfleisch, ex equo mit dem Schwein, sicher das vegetarischte aller Tiere.

WEITERE VORSÄTZE DAHIN

Dazu dann doch die mit Salz und Parmesan versehenen Trüffelchips, sicherheitshalber. Die erweisen sich tatsächlich als Chips („Rohscheiben“). Keine Pommes auf Englisch. Hinten im Kühlschrank winkt mir ein Budweiser zu. Zum Glück fällt mir ein, dass ich, was die alkoholische Abstinenz betrifft, ohnehin ein paar Ausnahmen eingeplant habe.

Trüffelchips mit Parmesan
(c) F. Kührer-Wielach

Das Bier kommt sofort, die Trüffelchips sind auch gleich da. Der Tafelspitz-Burger braucht ein wenig. Ich mache es mir also an der Budel gemütlich, nütze die Zeit, um mich zu fragen, warum man Frittiertes Rohscheiben nennt, und verwerfe vorerst die Vision vom Essen im Gehen. Erstens ist das eh nicht gesund und zweitens kann ich mit einer Hand kaum zwei Speisen und ein Bier tragen.

Der Tafelspitzburger kommt, dem Namen des Standls entsprechend, im Brioche daher (aber ohne Brösel, was auch keinen Sinn machen würde).

KOSTEN: EUR 20 inkl. Trinkgeld.
Kartenzahlung möglich.

BENOTUNG:

Geschmack: 4 von 5 Rindszungen
Atmosphäre: 2,5 von 5 Bauchtaschenträgern
Kulinarische Kakanizität: 4 von 5 k.u.k. Tafelklassen
Soziokult: früher krasser
Toilette: diesmal nicht benötigt

ALTERNATIVE BEURTEILUNG:

Lieber Schnitzelimperator, da hast du dir schon etwas Ordentliches überlegt food-design-mäßig: das Fleisch ist zart, die klassischen Beilagen sind gut dosiert, ein feines Erdäpfelgekrümel sorgt für den unvermeidlichen und tatsächlich nötigen Crunch. Eigentlich eine Challenge, den Tafelspitz bekömmlich, ausgewogen und praktikabel in ein Semmerl zu bekommen.

Dass die Komposition ein wenig saftelt und suppt, kann man einem Tafelspitzgericht kaum vorwerfen. Jedenfalls schmeckt es ausgezeichnet, sodass man sich etwas weniger wie ein Tourizonen-Opfer vorkommt, das 9,80 Euro für ein gekochtes Rindfleisch im Laberl zahlt.

Dazu die offenbar selbstgemachten Trüffelchips, die ihren Trüffelgeschmack von einer entsprechenden Mayonnaise beziehen. Das schmeckt so weit, würde ich aber nicht beim Präsidentendinner in der Hofburg servieren. (Außer der Trump wird’s nochmal.) Beim Budweiser kann wenig schiefgehen. Euer restliches Bierangebot (diverse Ottakringer, vom Klassiker bis zu den Bobo-Gebräuen) ist auch sehr ok.

Tafelspitz sous vide gegart im Brioche Bun mit Schnittlauchsauce, Apfelkren, Wurzelgemüse, Kartoffelstroh und frischem Kren
(c) F. Kührer-Wielach

UND DANN DER BURNER

Während ich Tafelspitz-Burger mit Trüffelchips und Budweiser genieße, die Mitesserin wieder einmal das Mitessen verpennt und ich so wie sie versuche, die Menschen um mich zu ignorieren, bestellt sich jemand seinen Schnitzelburger mit „soviel Parmesan wie möglich“.

Käufer und Verkäufer reden Englisch miteinander.

Der junge Mann im Standl versucht die Situation zu retten, indem er einen riesigen Bunsenbrenner auspackt und den Parmesanberg auf dem Schnitzel mit spitzbübischer Miene niederflambiert, der coole Hund.

flammis acribus addictis: Burger-Burner bei der Kreativarbeit
(c) F. Kührer-Wielach

Er ahnt wohl kaum, dass er in mir gerade einen Bewunderer gefunden hat. Auch der Histamin-Junkie scheint entzückt von der spontanen Veredelung. Vor lauter Freude vergessen die beiden, auf Englisch zu reden und verabschieden sich wortreich auf Deutsch.

Danach kann nichts mehr kommen, ich verabschiede mich ebenfalls. Die Mitesserin schläft weiter.

VAN SWIETEN STATT DER NACHSPEISE

Gleich nach ein paar Metern fällt mir im allmählich schwächer werdenden Zwielicht der Van-Swieten-Hof ins Auge. Ein prächtiger, klassizistischer Jahrhundertwendebau, 1896 von der „Witwen- und Waisen Societät des Wiener medizinischen Doktorenkollegiums“ errichtet und dem Leibarzt und Vampirologen – apropos Twilight – zum kaiserlichen Hofe, Gerard von Swieten (1700–1772), gewidmet ist.

Der Van-Swieten-Hof in der Rotenturmstraße
(c) F. Kührer-Wielach

Es handelt sich um ein Durchhaus mit hübschem Innenteil. Auf der Vorderseite befindet sich ein Handtaschengeschäft, das neben dem Schriftzug über dem Geschäftseingang ein überlebensgroßes Krokodil angebracht hat. Auch sehr ansprechend.

Geht man tatsächlich durch das Durchhaus durch, gelangt man in die Rotgasse, was in der Regel aber keine Vorteile für den Durchgehenden zu haben scheint.

Twilight-Zone, rechts vorne die Tafel für JFK
(c) F. Kührer-Wielach

Ich (st)rolle nachhause, vorbei an der strangen Kennedy-Gedenktafel, über den Graben, wo ein als Pirat verkleideter, abgehalfterter Christbaum steht, den Edelhandtaschenstrich hinab Richtung Hofburg und weiter.

Ich nehme mir vor, beim nächsten Stroll weniger Anglizismen zu verwenden.

Aber die Menschen erscheinen mir noch immer schöner als sonst. Thank you, Budweiser.

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