An der Ecke Josefstädterstraße-Lenaugasse gibt es die Gastwirtschaft Blauensteiner, einst auch „Zur Stadt Paris“ genannt, was geschwindelt war, denn wir sind in Wien. Oder eigentlich in der Vorstadt, ganz nahe am Rand des einstigen Glacis. Denn wo heute die Zweierlinie ist, war früher eine Wiese. Zum Exerzieren und Flanieren. Und wahrscheinlich hat Sissi dort ihre Yogaübungen gemacht.
Flaniert man heute die Lenaugasse entlang, die zu Lenaus Zeiten sicher noch nicht so geheißen hat, stellt man anhand diverser Tafeln eine ziemliche Dichter-Dichte fest: Hebbel, Doderer, Erich Meder („Hallo Dienstmann“, „Der Wurschtl“), Lenau natürlich und Anton Wildgans. Womit wir beim Essen angelangt sind.
SAURE NIERNDL
Denn was passt besser zur „bitter-süßen“ Wehmut (Heidelberger Rundschau, 1913) in Lenaus Gedichten als Saure Nierndl? Und die gibt es beim Blauensteiner, der sich mit sehr ordentlicher Wiener Küche einen Namen gemacht hat. Genau das gibt auch die Karte her: klassische Wirtshausküche, auf bestem Niveau, aber zu moderaten Preisen. Das Menü mit Gemüsesuppe und Schweinsbraten gibt es für 7,30 Euro, kein Scherz.
Auf der Tageskarte dann die besonderen Schmankerl: Gebackene Fledermaus zum Beispiel und eben die Sauren Nierndl. Die bestelle ich, dazu einen GV vom Falk in Bockfließ. Schankperle, aber nicht ironisch gemeint. Ach ja, und Salat.

Saure Nierndl, Erdäpfel, Salat. Grüner vom Falk
(c) Florian Kührer-Wielach
Die Nierndl schmecken genau, wie sie sollen: tadellos mit Erdapfelsterz, Majoran ist drin, und Senf. Nicht zu sauer. Die Kleine nimmt das zur Kenntnis, verlangt aber dann doch keine zweite Kostprobe. Als ich leicht nachsalze, schaut der Koch ein bissl böse hinter der Schank hervor. Es liegt nicht an dir, sondern nur an meiner Zunge, will ich ihm zurufen, aber fürchte das wahrscheinliche Missverständnis mehr als die stille Missbilligung.
Am Ende ein kleiner Mokka von Naber. Unauffällig.
Kosten: EUR 18,20 (ohne Maut).
Wieder sehr österreichisch: Cash only.
Benotung:
Geschmack: 5 von 5 Salzstreuer
Atmosphäre: 4,5 von 5 Resopaltische
Kulinarische Kakanizität: 4 von 5 Rahmherzerl
Soziokult: 4 von 5 möglichen Amtstitel
Toilette: Beislheisl
Alternative Leistungsbeurteilung:
Ein bisschen hat man als Gast das Gefühl, euch zu stören. Aber eh nicht zu sehr. Und außerdem fühlt man sich mit dieser Art des Service erst richtig heimisch. Gibt es einen besseren Weg als Lenaus lyrischem Weltschmerz mit der Schicksalsverachtung des Verächtlichen zu begegnen? Eben.
Das ist das Geheimnis dieser Stadt. Und damit auch Eures. Ein atmosphärisches Wirtshaus (Lamperie!), eine sehr gute Küche, exzellente Lage und die Preise nicht nur für die Hofräte, sondern auch für die Hofkehrer. Einfach alles so lassen.

Großartiger Schankbereich in der Gastwirtschaft Blauensteiner
(c) Florian Kührer-Wielach
LENAU
Nikolaus Lenau also. Da nickt man wissend, wenn man den Namen hört. Lenau, mhm, Gedichte und so. Aber dass der wohl bedeutendste deutschsprachigen Lyriker seiner Zeit aus dem Banat stammt, ist schon weniger bekannt. Dass der Ort, in dem er 1802 im damaligen Ungarn geboren wurde, später, als er Teil Rumäniens war, sogar nach ihm benannt wurde („Lenauheim“). Dass er eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, Edler von Strehlenau, hieß, dank eines geadelten Opapas, der ihn auch nach Wien geholt hat.
Weltschmerz war sein Thema, Pessimismus, wie er im Vormärz in ganz Europa zu finden war. Romantik frisst Aufklärung, Transformationsbauchweh. Kommt uns bekannt vor.
Dann noch so manche Sommerfrische in Stockerau, durch die sauren Wiesen streichend. (Zur Einordnung: Man darf sich das damalige Stockerau nicht wie die Hamptons vorstellen.) Seine „Schilflieder“ hat er aber in Heidelberg geschrieben und dort vielleicht manch verbotene Mensur gefochten.

Nikolaus Lenau, gemalt von Johann Umlauf, ca. 1844
(Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nationalgalerie, gemeinfrei)
Ob er wirklich jemals wie sein Weltschmerz-Dichterkumpel Friedrich Hebbel durch diese Gasse geschritten ist, die später nach ihm benannt wurde, und die noch heute wie kaum eine andere ihren biedermeierlichen Charme entfaltet? Vielleicht sogar miteinander, Schulter an Schulter, eine Nummer von Nirvana grölend? Der Blauensteiner hätte den beiden gefallen, jedenfalls besser als die kulinarischen Sitten, die Lenau in Amerika begegnet sein wollen:
„Man darf diese Kerle nur im Wirthshause sehen, um sie für immer zu hassen. […] Da erschallt die Freßglocke, und hundert Amerikaner stürzen herein, keiner sieht den andern an, keiner spricht ein Wort, jeder stürzt auf eine Schüssel, frißt hastig hinein, springt dann auf, wirft den Stuhl hin, und eilt davon, Dollars zu verdienen.“
Nach Wien zurückgekehrt, verbrachte Lenau seine letzten Jahre in „geistiger Umnachtung“, was wiederum die Frage aufwirft, was ihn konkret vom Rest der Bevölkerung unterschieden hat.
Fazit: Sauer will man dem nicht begegnet sein, dem Lenau. Den Nierdln schon.
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