Wie beginnen mit der Strollerei? Ein Sprichwort besagt: man soll zuerst vor der eigenen Haustür einkehren. Nichts einfacher als das, denn es sind nur wenige Schritte bis zur Knödel Manufaktur. Die hat vor ein paar Jahren mit einem Straßenverkauf und zwei, drei Minitischen begonnen.
Diese „Zentrale“ in der Josefstädterstraße wurde zwischenzeitlich erweitert und in einer Art industrial light-Stil eingerichtet, was nicht so schlimm aussieht wie es klingt. (Eigentlich recht gemütlich, so wie ein Jogginganzug.) Und in Simmering gibt es mittlerweile ein ganzes Knödelmanufaktur-Wirtshaus.
Auf der Speisekarte dreht sich alles konsequent ums Knödel: pikant, süß, fleischig, vegetarisch, vegan. In der Regel sind sie aus Erdäpfelteig und handgerollt. (Das Handrollen konnte man in den Anfangszeiten zu nächtlicher Stunde sogar durch die Scheibe beobachten.) Nur der Kaiserschmarrn scheint sich auf die Karte verirrt zu haben. Und für die Verwendung des nicht mehr selbstverständlichen Wortes Erdapfel kriegen sie ein Extrabussi von mir. (Selbst das Lagerhaus nennt die Grundbirnen mittlerweile – horribile dictu – Kartoffeln!)
Also: Hausmannskost auf Profi-Niveau. Eigentlich: „Huasmannskost“, ein liebenswerter Tippfehler in der Karte, der an die Zeitgeschichte des nahen Gürtels erinnert. Auch die Knödelteller gibt es in Single, Duo, Trilogie oder Quartett. Ich trage bereits vegane Sportschuhe, darum entscheide ich mich für ein Grammelknödel und als leichtere Variante noch für ein Tiroler Speckknödel. (Auf Semmelknödelbasis, logisch.) Beilage: das böhmische Sauerkraut. Als Bierbegleitung empfiehlt sich ein Wieselburger vom Fass. (Mitunter weil das Schladminger Zwickl gerade aus ist.)

Duett vom Grammel- und Tirolerknödel auf böhmischem Sauerkraut
(c) F. Kührer-Wielach
Die Knödel wie das Kraut sind ausgezeichnet, nicht zu klein, großzügig gefüllt (sofern gefüllt), und wer möchte, kann ein wenig nachsalzen. Der Vorteil: die relative Milde kommt der Mitesserin im Wagerl entgegen. Am Ende gibt es einen anständigen, wenn auch anonymen Espresso. Aus Platzgründen verzichte ich auf eines der erfahrungsgemäß großartigen Nachspeisknödel.
Kosten: EUR 20,20 (ohne Maut).
Auch sehr österreichisch: Cash only.
Benotung:
Geschmack: 4 von 5 Grundbirnen
Atmosphäre: 3,5 von 5 Backsteinblendziegeln
Kulinarische Kakanizität: 5 von 5 Backenbärten
Soziokult: 4 von 5 Sinusmilieus (jede Klasse, nur nicht ohne Kasse)
Toilette: nicht teilgenommen
Alternative Leistungsbeurteilung:
Liebe Knödelmanufaktur, du weißt genau, was du tust. Fokus auf ein Produkt und das kreativ variiert. Und auch wenn deine Knödel mit rot-weiß-rotem Fähnchen daherkommen, vermute ich auf Basis verschiedener Indizien stark, dass hier Postkakanier im weiteren Sinne am Werke sind. Dazu lieferst du alles, was man auch in der Josefstadt erwartet, seit die Hofratswitwen von den Bobos abgelöst wurden, von Bio bis Veggie. Das schmeckt bis zum Schluss so wie Smetanas „Moldau“ beginnt: in Ess-Dur und e-Mollig.
Fazit: Auf dem Boden bleiben und weiterknödeln!
SCHWARZWALD
Beim Verlassen der Knödelzentrale fällt unser Blick schräg vis-a-vis auf Haus Nr. 68. Hier hat einst Eugenie Schwarzwald gewohnt, die Wohnung von ihrem Spezi Adolf Loos eingerichtet. „Genia“ war eine Pionierin der Mädchenbildung. Denn „Karriere“ machte man als Provinzfrau in der Hauptstadt, wenn überhaupt, als Köchin „in Stellung“.
Anders Eugenie Schwarzwald: 1872 in Galizien als Eugenie Nussbaum geboren, hat sie ihre Jugend in Czernowitz verbracht, um dann in Zürich Germanistik und Pädagogik zu studieren. Später sollten ihre Wiener Mädchenlyzeen zu den modernsten und besten Schulen der Monarchie werden.

Eugenie Schwarzwald (1872–1940), österreichische Pädagogin, Sozialreformerin und Frauenrechtsaktivistin
(wikipedia)
Weniger bekannt ist ihr Engagement als Gründerin des Vereins zur Errichtung und Erhaltung von Gemeinschaftsküchen im Ersten Weltkrieg. Die bald als Schwarzwald-Küchen bekannten Verköstigungsstellen wurden in der Zwischenkriegszeit zur kulinarischen Institution mit vielen Adressen in Wien. 1926 schrieb „Die Presse“ zum Zehnjahresjubiläum der sog. Reformgasthäuser, die ohne Alkohol und Trinkgelder auskamen:
„Der Wiener hat sich die ihm aufgezwungene Anspruchslosigkeit in kulinarischen Dingen erfreulicherweise wieder abgewöhnen können und aus den bescheidenen Gemeinschaftsküchen sind komfortable Reformgasthäuser geworden, die aber nach wie vor die Anziehungskraft ihrer außerordentlichen Billigkeit auf die breiten Massen ausüben. Aus dem Einheitsmenü sind sechs Menüs geworden, deren abwechslungsreiches Repertoire auch verwöhnten Ansprüchen genügt.“
Eugenie Schwarzwald starb 1940 im Zürcher Exil. Ihre Schulen und Einrichtungen wurde aufgelöst und arisiert. Seit 2011 gibt es in der Donaustadt einen Eugenie-Schwarzwald-Weg.
Fazit:
Schwarzwalds Wirken zeigt, welche Möglichkeitsräume die späte Donaumonarchie eröffnet hat. Und: Wenn Mitteleuropa ein Gericht wäre, dann wohl ein Knödel.
Eine Frage aber bleibt offen: Warum gibt es keine ernstzunehmende Speise namens Kaiserknödel?
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